Die Geschichte des Cannstatter Volksfestes
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Vom Vulkanausbruch bis zum größten Fest im Südwesten
Die Geschichte des Cannstatter Volksfestes
„Landwirthschaftliches Fest zu Kannstadt“ – so hieß das Volksfest bei seiner Premiere im Jahr 1818. Und dieser Name kam nicht von ungefähr. Als vor mehr als 200 Jahren der Vulkan Tambora – auf der indonesischen Insel Sumbawa gelegen – bei einem Ausbruch so viel Schutt und Asche in die Atmosphäre schleuderte, dass sich eine Art Schleier um die Erde legte, führte dies zu Klimaveränderungen in weiten Teilen Europas. Auch im Königreich Württemberg folgten kalte und düstere Sommer in den Jahren 1815 und 1816 mit Ernteausfällen. Als die Menschen nach langer Not endlich wieder zu essen hatten, zog der Monarch seine Lehren aus den harten Jahren. Er wollte die Landwirtschaft reformieren und die Bauern fortbilden. 1817 gründete König Wilhelm I. gemeinsam mit seiner Frau Katharina die „Centralstelle des landwirtschaftlichen Vereins“. Zudem wollte er aus Dankbarkeit seinem Volk ein Fest stiften.
Das erste Cannstatter Volksfest
Im darauffolgenden Jahr, am 28. September 1818, einen Tag nach des Königs 36. Geburtstag, war es dann so weit: Das Cannstatter Volksfest fand erstmals statt. Und seit damals ist der Cannstatter Wasen auch der Austragungsort für die große Festlichkeit. Dieser war damals eine idyllische, wohl auch etwas feuchte Neckaraue ohne umgebende Bebauung, zwischen Wiesen und Weinbergen am noch nicht aufgestauten Neckar gelegen. In Sichtweite lag die königliche Villa Bellevue an der Wilhelma, dem einzigen zoologisch-botanischen Garten in Deutschland. Ein kurzer Anfahrtsweg mit der Kutsche also für den Stifter des Festes, der es sich nicht nehmen ließ, dieses feierlich zu eröffnen und Zeuge eines erfolgreichen Beginns zu werden.
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen – mit diesem urschwäbischen und bodenständigen Leitsatz lässt sich die Gründung des Volksfestes als Erntedankfest passend umschreiben. In der Gestalt des mittlerweile alle vier Jahre parallel zum eigentlichen Volksfest stattfindenden Landwirtschaftlichen Hauptfestes, der größten süddeutschen Fachausstellung für Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft, lebt die ursprüngliche Idee des „Königs unter den Landwirten und Landwirts unter den Königen“, wie Wilhelm I. von seinen Zeitgenossen genannt wurde, bis heute fort.
Volksfestumzug erstmals 1841
Umzüge durch die Straßen Stuttgarts zum Volksfest auf dem Cannstatter Wasen hat es beinahe immer gegeben. Aus dem Jahr 1841 wird von einem Festzug mit mehr als 10.000 Teilnehmer:innen und weit über 100.000 Zuschauer:innen entlang der Straßen berichtet. Dabei hatte die Stadt damals gerade einmal 40.000 Einwohner:innen. Der Volksfestumzug im heutigen Sinne mit offiziellem Start am Cannstatter Kursaal fand erstmals 1927 statt. 1911 gab es in der Heimatstadt Gottlieb Daimlers und Wilhelm Maybachs standesgemäß den ersten Volksfestautokorso.
In der Frühzeit waren die Volksfestbuden mit Schaustellern und Bierausschank noch gering an der Zahl und blieben zugunsten der königlichen Loge und der Honoratiorentribünen am Rand des eigentlichen Festgeländes. Im Jahr 1860 wurde dann im Amts- und Intelligenzblatt für das Oberamt Cannstatt von einer der heutigen ähnlichen Szenerie gesprochen, nach der die Buden zum ersten Mal „in drei Hauptstraßen und zahlreichen Nebenstraßen angeordnet“ waren. Von 1882 an wurde auf Weisung von König Karl, Sohn und Nachfolger von Wilhelm I., das Cannstatter Volksfest nicht mehr alljährlich, sondern nur noch alle zwei Jahre veranstaltet. Bis zum Tod des Königs 1891 blieb diese Regelung erhalten. Auf diesen Umstand und die Auswirkungen beider Weltkriege ist es zurückzuführen, dass insgesamt 28 Jahre ohne Volksfest blieben.
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Größtes Fest im Südwesten von Beginn an ein Publikumsmagnet
Über die Jahrzehnte hat sich das Cannstatter Volksfest stetig weiterentwickelt und es dabei auf sympathische und einzigartige Weise geschafft, Tradition mit Moderne zu verbinden. Rund vier Millionen Besucher:innen zählt das größte Fest Baden-Württembergs jedes Jahr. Bereits in den Anfangsjahren lag die Zahl der Festteilnehmer:innen spürbar höher als die Anzahl der Einwohner:innen Stuttgarts und Cannstatts zusammen. Zeitgenössischen Aufzeichnungen zufolge wohnten gleich von 1818 an mehr als 30.000 Mitwirkende und Gäste dem Fest bei. Eine teils mehrtägige Anreise aus allen Teilen des Königreichs wurde dabei sogar von einigen in Kauf genommen. Und wenn man sich vor Augen hält, dass das erste Cannstatter Volksfest gerade einmal einen einzigen Tag gedauert hat, nämlich eben diesen 28. September 1818, so kann sich die damalige Tages-Besucherzahl wirklich sehen lassen. Die Veranstaltung war demnach schon in ihren Anfängen ein wahrer Publikumsrenner und ist es bis heute geblieben. Die wenigste Zeit hat das Volksfest so lange gedauert wie heute. Im 19. Jahrhundert gab es zunächst nur einen einzigen, etwas später drei, dann vier, ab den späten Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts schließlich fünf Festtage. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zu Beginn der Fünfzigerjahre bereits zehn, dann zwölf und seit 1972 16 Tage lang gefeiert. Seit 2007 dauert das Volksfest 17 Tage, da die Eröffnung von Samstag auf Freitag vorverlegt wurde. Mittlerweile ist es nicht mehr nur das größte und bedeutendste Fest Baden-Württembergs, sondern das zweitgrößte Volksfest der Republik und damit eines der größten in der Welt.
Weithin sichtbares Wahrzeichen – die Fruchtsäule
Die Fruchtsäule ist das Wahrzeichen des Cannstatter Volksfestes. Bereits beim ersten Volksfest 1818 gab es eine hoch aufragende Säule, die mit vielen Früchten, Getreide und Gemüse geschmückt war. So erinnert dieses Symbol noch heute an den Ursprung des Volksfestes als landwirtschaftliches Fest. Die erste Fruchtsäule war von König Wilhelm I. gestiftet und vom damaligen württembergischen Hofbaumeister Nikolaus Friedrich von Thouret entworfen und erbaut worden.
Fruchtsäulenwagen Volksfestumzug 176. Cannstatter Volksfest
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde sie wegen dieser Herkunft und der königsblauen Farbe als „monarchistisches Überbleibsel“ betrachtet und einige Jahre nicht mehr aufgestellt. Zum 100. Volksfest 1935 hat man diese Tradition wieder aufgenommen. Seitdem schmückt sie alljährlich den Festplatz. Die heutige Fruchtsäule entstand 1972 und wurde in Durchmesser, Höhe und Farbigkeit dem historischen Modell nachempfunden. Sie ist insgesamt 26 Meter hoch, steht auf einem fünf Meter hohen Sockel und wiegt circa drei Tonnen. Die Schale, die auf dem oberen Ende der Säule sitzt und mit Spitzkohlköpfen, Riesenäpfeln und Sonnenblumen geschmückt ist, wiegt zusätzlich rund 600 Kilogramm. Der äußere Teil der Säule ist aus Holz, im Innern befindet sich eine Stahlkonstruktion.
Das Aussehen der Fruchtsäule hat sich im Laufe der Jahrzehnte viele Male geändert. Seit 1976 thronen vier Stuttgarter Rössle auf der Spitze – was nicht jedem traditions- und heimatverbundenem Cannstatter auf Anhieb gefiel. Mittlerweile ist das Wappentier der Landeshauptstadt nicht mehr von der Dekoschale wegzudenken.
In den vergangenen Jahren bekam die Fruchtsäule eine Auffrischungskur. Der Sockel hat eine Umrandung mit hohen Gräsern erhalten, aus denen die Säule wie eine Pflanze optisch „herauswächst“. Darüber ist eine stilisierte Krone aus Getreide zu erkennen. Diese Symbolik soll an den Ursprung der traditionsreichen Veranstaltung als Erntedankfest und an deren Stifter König Wilhelm I. erinnern. Den Mittelteil der blauen Stahlkonstruktion zieren Girlanden, während oben eine zweifarbige, in Gelb und Rot strahlende Banderole aus Glanzfolie die Fruchtsäule in Szene setzt. Für das 172. Cannstatter Volksfest im Jahr 2017 erneuerte man schließlich die in den Stuttgarter Stadtfarben erstrahlenden „Pferdle“.
Wurde die Fruchtsäule bis 1995 jedes Jahr nach Ende des Volksfestes abgebaut und eingelagert, blieb sie in den Folgejahren versuchsweise ganzjährig auf dem Wasengelände stehen. Folglich war sie auch während des Stuttgarter Frühlingsfestes zu sehen. Seit ein paar Jahren werden nur noch die Säule und die Schale demontiert und der Unterbau – ein fest installierter Pavillon, der während des Frühlingsfestes die Cannstatter Kanne trägt – stehen gelassen.
Mehr Infos: www.cannstatter-volksfest.de
Quelle: in.Stuttgart