Eine Wiederentdeckung im Jubiläumsjahr: Romane Holderried Kaesdorf im Kunstmuseum Stuttgart
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Gleich zwei Jubiläen feiert das Kunstmuseum Stuttgart in diesem Jahr: 100 Jahre Sammlung und 20 Jahre Museumsgebäude am Kleinen Schlossplatz. Passend dazu eröffnet nun eine Ausstellung, die nicht nur Kunstgeschichte, sondern auch eine bislang unterschätzte Künstlerin neu ins Licht rückt. Erstmals widmet das Haus Romane Holderried Kaesdorf (1922–2007) eine Einzelausstellung. Die Kuratorin Eva-Maria Froitzheim führte zur Eröffnung durch die Schau, Direktorin Dr. Ulrike Groos hob dabei die besondere Rolle hervor, die diese Präsentation im Jubiläumsprogramm spielt.
Eine Künstlerin gegen den Strom
Romane Holderried Kaesdorf gehört zu den eigenwilligsten Stimmen der zeitgenössischen Grafik in Südwestdeutschland. Über fünf Jahrzehnte hinweg zeichnete sie nahezu täglich – unbeirrt von den dominanten Strömungen der Nachkriegsabstraktion. Während viele Kolleg:innen auf Abstraktion setzten, blieb sie einer erzählerischen, figurativen Bildsprache treu. Ihre Arbeiten zählen heute zu den bemerkenswertesten Leistungen des Mediums Zeichnung im 20. und 21. Jahrhundert.
Dass ihr Werk dennoch kaum über Baden-Württemberg hinaus bekannt wurde, wirkt rückblickend erstaunlich. Schon 1953 begann die damalige Galerie der Stadt Stuttgart Arbeiten von ihr zu erwerben, heute besitzt das Kunstmuseum zwanzig Werke. Für die Ausstellung wurden diese Bestände durch zahlreiche Leihgaben aus öffentlichem und privatem Besitz ergänzt.

Detail Romane Holderried Kaesdorf
1 Frau mit einer gelben Bluse, einer schwarzen
Hose und einem Mann, 1984
Bleistift, Kohle und Farbstift auf Papier, 63,5 x 57,5 cm
Kunstmuseum Stuttgart. Foto: MK Schechler
Szenen zwischen Alltag und Absurdität
Die Ausstellung zeigt einen repräsentativen Querschnitt seit den 1960er-Jahren: von surreal anmutenden Szenen über die Männer- und Frauenbilder bis hin zu den späten, reduziert ausgeführten Serien. Charakteristisch ist ein leiser Humor, der aus den merkwürdigen Begegnungen zwischen Figuren und Gegenständen entsteht.
Immer wieder treten Stühle, Sessel, Sofas oder Schränkchen auf – Objekte, mit denen ihre Figuren hantieren, ringen oder experimentieren. Dabei wirken die Szenen manchmal befremdlich, oft aber auch schlicht alltäglich, nur mit größter Genauigkeit ins Bild gesetzt. Wertungen vermeidet Holderried Kaesdorf konsequent. Ihre häufig langen, lakonischen Bildtitel öffnen zusätzliche Bedeutungsebenen – wie etwa Vor der Tür kriechend (1963), Jäger üben für die 4. und letzte Dienstprüfung (1971) oder Merkblatt, wie man ein kleines Brett mit einer Hand hält, wie man ein kleines Brett mit 2 Händen hält (1990).
Frauen im Fokus
Ein auffälliger Wandel zieht sich durch ihr Werk: Während bis Mitte der 1970er-Jahre vor allem Männer in ihren Zeichnungen dominieren, treten ab 1976 fast ausschließlich Frauen auf. Ihre Gesten und Körperhaltungen sind dynamischer, selbstbewusster und wirken von innerer Freiheit geprägt – deutlich kontrastierend zu den männlichen Figuren.
Der Zeitpunkt fällt nicht zufällig in die Ära, in der gesellschaftlich neue Frauenbilder diskutiert wurden. 1975 hatte die UNESCO das »Internationale Jahr der Frau« ausgerufen – ein Signal, das auch Künstlerinnen ermutigte, ihre Sichtbarkeit zu stärken. Holderried Kaesdorf verstand sich zwar nie explizit als Feministin, interessierte sich aber stets für die Darstellung von Frauen in der Kulturgeschichte und für die Werke ihrer Kolleginnen.
Ein Werk mit bleibender Relevanz
Die Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart macht sichtbar, wie vielschichtig und unverwechselbar Holderried Kaesdorfs Bildsprache ist. Sie bewegt sich zwischen Ironie und Ernst, Alltag und Absurdität, Leichtigkeit und analytischer Genauigkeit. Vor allem aber erzählt sie vom Beharren einer Künstlerin, die ihren eigenen Weg ging und sich konsequent gegen die Trends ihrer Zeit stellte.
Romane Holderried Kaesdorf. 27. September 2025 – 12. April 2026, Kunstmuseum Stuttgart.
Mehr Infos: https://www.kunstmuseum-stuttgart.de/

Div. Objekte aus der Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart von links nach rechts: Denkmal: Frau mit Schiff | Proben für eine Bittstellung | 3 Frauen machen etwas für ein Möbel